Skip to content
Deutschland

Automobilindustrie muss Lieferketten global neu aufstellen Pandemie ist nur eine von vielen Herausforderungen

An 15 Jun 2022

Von Heinz Hilger, CEO, Standard Chartered Bank AG

Das Rennen um die Konnektivität des Internets der Dinge (IoT), die Sharing Economy, Elektrifizierung und autonomes Fahren treiben die Transformation der Automobilindustrie ebenso an wie globale Anstrengungen um Bekämpfung des Klimawandels und die Nachhaltigkeit von Lieferketten. Mitten in diesem Prozess brach dann auch noch die Pandemie hinein und setzte Nachfrage- und Lieferketten massiv unter Druck.

Im Rahmen einer globalen Studie hat Standard Chartered eine Reihe von Unternehmen nach ihren Prioritäten bei ihren Lieferketten befragt, um herauszufinden, wie sie mit den Herausforderungen umgehen. 106 Treasury-, Finanz- und Lieferkettenexperten aus dem Automobilsektor nahmen an der Umfrage teil.

Spezialisierung in den Lieferketten der Automobilindustrie ist riskant

„Da Automobilunternehmen längerfristige Lösungen suchen, unterstützt Standard Chartered sie dabei, das regulatorische Umfeld sowie Umwelt-, Sozial- und Governance-Praktiken (ESG) in neuen und potenziellen Beschaffungs- und Produktionsmärkten – nicht zuletzt in unseren Footprint Märkten Asien, Afrika und Naher Osten – besser zu verstehen.

Der Automobilsektor setzt seit vielen Jahren auf „Just-in-time“-Produktion mit hoch belastbaren, effizienten Lieferketten, die darauf ausgelegt sind, die genauen Bedürfnisse der Kunden flexibel zu erfüllen und sich an Schwankungen zeitnah anzupassen. Doch die Lieferketten in der Automobilindustrie gerieten in der Anfangsphase der Pandemie massiv unter Druck. Als zum Beispiel COVID-19 in Italien auftrat, stellte ein wichtiger Zulieferer die Produktion ein, was weitreichende Konsequenzen für die gesamte Branche hatte und die Abhängigkeit des Automobilsektors von einzelnen Zulieferern für bestimmte Komponenten verdeutlichte. Dabei handelt es sich oft um kleine Unternehmen, die am anfälligsten für Nachfrage- und Liquiditätsschocks sind.

So gaben 94% der von uns im Rahmen der Studie Befragten aus der Automobilbranche an, dass es für ihr Unternehmen von großer Bedeutung sei, schnell auf Schwankungen der Nachfrage reagieren zu können. Doch nur 48% fühlen sich laut eigener Aussage gut dafür aufgestellt. 87% wiesen darauf hin, wie wichtig ein Frühwarnsystem zur Erkennung aufkommender Störungen in der Lieferkette sei. Doch nur 39% zeigten sich überzeugt, dass ihr Frühwarnsystem gut funktioniere.

Wie wir bei der Versorgung mit Halbleitern gesehen haben, sind der Automobil- und der Technologiesektor in hohem Maße von einzelnen Märkten sowie von wichtigsten Lieferanten abhängig, allen vorweg Taiwan. Dies birgt kurz- bis mittelfristig erhebliche, aber in vielen Fällen unvermeidbare Risiken, auch wenn alternative Lösungen gesucht werden. 94 % der von uns Befragten wiesen darauf hin, dass sie in der Lage sein müssen, Lieferanten in neuen Märkten zeitnah zu vergüten. Allerdings gaben nur 40 % an, dies problemlos tun zu können. Außerdem braucht der Aufbau neuer Produktionskapazitäten Zeit. Das bedeutet, dass eine geografische Diversifizierung möglicherweise keine sofortige Lösung ist.

Da Automobilunternehmen längerfristige Lösungen suchen, unterstützt Standard Chartered sie dabei, das regulatorische Umfeld sowie Umwelt-, Sozial- und Governance-Praktiken (ESG) in neuen und potenziellen Beschaffungs- und Produktionsmärkten – nicht zuletzt in unseren Footprint Märkten Asien, Afrika und Naher Osten – besser zu verstehen. So spielt unser TradeCo-Geschäft, der nicht-finanziellen Zweig unseres Business, eine größere Rolle beim Kauf und der Finanzierung von Halbleitern im Auftrag von Kunden.

Bedrohung der Widerstandsfähigkeit der Automobil-Lieferkette

Automobilhersteller sind regelmäßig von Markt- und Lieferschocks bedroht. Das Erdbeben und der Tsunami in Japan 2011, durch die die Produktion von elektronischen Bauteilen für Autos ausfielen, betrafen den gesamten Sektor. Auch die Blockade des Suezkanals durch die Havarie eines Frachters im April 2021 belastete die ohnehin angespannten Lieferketten der Unternehmen noch mehr. Und auch der Ausbruch des Ukraine-Kriegs stellte deutsche Autobauer vor Probleme.

Die Pandemie strapazierte vorhandene Risikomodelle auf mehr als eine Weise und führte uns die Bedeutung der indirekten oder Tier 2-Lieferanten vor Augen, die am anfälligsten für Liquiditätsschocks sind und am schlechtesten in der Lage, Liquiditätsengpässe zu einem wettbewerbsfähigen Zinssatz zu finanzieren. Über die Hälfte der von uns Befragten erkannten wie wichtig es ist, Liquiditätsunterstützung auf Lieferanten auszuweiten. Dennoch gelang es nicht mal einem Viertel der Befragten, dies erfolgreich zu tun.

Außerdem zeigten sich die Schwachstellen der globalen Organisationsstrukturen. China erholte sich schneller als Europa, aber da viele Automobilunternehmen als Joint Ventures in China strukturiert sind und die Erholung in Europa langsamer von statten ging, fiel es den Unternehmen schwer mit der Situation klarzukommen. 

Digitaltechnik und Daten für Transparenz und Innovation

Um fit und robust für die Zukunft zu werden, müssen Automobillieferketten auf digitale und datengestützte Verfahren zurückgreifen und geringere Umweltauswirkungen haben. Und damit sie den Anforderungen von Regulatoren, Aktionären und Kunden gerecht werden können, müssen Automobilunternehmen sich eine Spitzenposition bei elektrischen und autonomen Fahrzeugen sichern und gleichzeitig die Kohlenstoffemissionen reduzieren.

Automobilunternehmen können jedoch ihre Innovations- und Nachhaltigkeitsziele nicht allein erreichen, sondern sie müssen dabei auch ihre Lieferketten einbeziehen, einschließlich der verwendeten Rohstoffe und Komponenten. Um dies zu erreichen, ist die Erhebung von Daten notwendig, um einen Überblick über die Lieferketten und potenzielle Schwachstellen zu bekommen. So gaben 58% der Befragten an, dass sie ihre direkten Lieferanten von externen Stellen prüfen lassen müssten, um sicher zu stellen, dass alle Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllt werden. 50% der Befragten gaben an, dass dieses Procedere auch auf indirekte Lieferanten ausgeweitet werden müsste. Dennoch sagen nur 31% bzw. 29%, dass sie dies gegenwärtig praktizierten.

Mit besseren Einblicken in die Lieferketten können die Automobilunternehmen dann auch Finanzierungslösungen einsetzen, einschließlich automatisierter Finanzierung und digitalem Onboarding, um die Zulieferer bei Investitionen in die Nachhaltigkeit zu unterstützen. Digitale Tools helfen auch dabei, dem Problem der Konzentration auf einzelne Zulieferer und Märkte entgegenzusteuern. Kobalt ist zum Beispiel ein wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien. Der größte Markt für die Kobaltproduktion befindet sich in der Demokratischen Republik Kongo, die weiterhin mit massiven Problemen bei der Einhaltung sämtlicher ESG-Kriterien zu kämpfen hat. Dies beeinträchtigt auch die ESG-Bilanz der Automobilhersteller und -zulieferer.

Unternehmen finden innovative Wege, um solche Risiken zu überwinden. 2019 verkündete Volvo beispielsweise eine Partnerschaft mit schwedischen Forschungsinstituten, um den Einsatz von Blockchain zur Rückverfolgung der Herkunft von Kobalt einzusetzen, das in seinen Elektroautos verwendet wird. Im Mai 2021 investierte Mercedes in ein grünes CO2-freies Stahlprojekt, um den Kohlenstoffausstoß zu verringern.


Das Ziel der Netto-Null-Kohlenstoffemissionen

Eine weitere Herausforderung für Automobilunternehmen bei der Anpassung und Entwicklung neuer Lieferketten ist der Zugang zu kohlenstoffarmer Energie, insbesondere in Regionen wie dem asiatisch-pazifischen Raum, wo es nicht genügend erneuerbare Energiequellen gibt, um die hohe Nachfrage zu decken. Neben der Zusammenarbeit mit Automobil- und Energieunternehmen, um in saubere Energie zu investieren, wird ein gut funktionierender freiwilliger Kohlenstoffmarkt entscheidend sein, um Netto-Null- und negative Kohlenstoffziele zu erreichen. Über diese Märkte können Unternehmen Kompensationen von verifizierten Anbietern kaufen, um ihre Emissionen auszugleichen.

Gut gerüstet für die Zukunft

„Die Unternehmen der Automobilindustrie müssen die Vorteile vernetzter Lieferketten und globaler Datenströme nutzen, um Risiken zu managen, die ganze Ökosysteme destabilisieren können. Standard Chartered spielt dabei eine entscheidende Rolle durch Fachwissen in Schwellenländern – besonders in Afrika, Asien und dem Mittleren Osten -, Finanzierungskompetenz sowie Engagement für nachhaltige und verantwortungsvolle Geschäftspraktiken.

COVID-19 wird nicht der letzte Schock sein, den die Wertschöpfungsketten der Automobilindustrie überstehen müssen. Der russische Militärangriff auf die Ukraine zeigt, wie schnell und wie nah an den Grenzen der EU es zu politischen Konflikten mit massiven ökonomischen Auswirkungen kommen kann. Das Ausmaß und die Häufigkeit von makroökonomischen Verschiebungen nehmen zu. Eine Studie von McKinsey identifizierte allein im Jahr 2019 40 Wetterkatastrophen, von denen jede einen wirtschaftlichen Schaden von mehr als 1 Milliarde Dollar verursacht hat. Gleichzeitig nehmen wirtschaftlicher Protektionismus und Häufigkeit von Handelsstreitigkeiten zu, nicht zuletzt zwischen den Vereinigten Staaten und China.

Dieselbe McKinsey Studie unterstreicht die besondere Anfälligkeit des Automobilsektors für Pandemien, groß angelegte Cyberattacken und Handelskonflikte. Die Unternehmen der Automobilindustrie müssen die Vorteile vernetzter Lieferketten und globaler Datenströme nutzen, um Risiken zu managen, die ganze Ökosysteme destabilisieren können. Standard Chartered spielt dabei eine entscheidende Rolle durch Fachwissen in Schwellenländern – besonders in Afrika, Asien und dem Mittleren Osten -, Finanzierungskompetenz sowie Engagement für nachhaltige und verantwortungsvolle Geschäftspraktiken.